Newsletter 43/2023: Israel/Palästina/Nahost

Israel/Palästina/Nahost

Der Nahe Osten bleibt trotz der gegenwärtig von der Weltpolitik und ihren führenden Mächten anders gelagerten Schwerpunkte einer der vorrangigen Krisenherde der Welt, vor allem auch aus europäischer Sicht. Leider trägt die EU dem viel zu wenig Rechnung. Dafür ist meines Erachtens zum ersten die aufgrund des Ukrainekrieges wieder verstärkte Anpassung, man könnte es durchaus auch starke Unterordnung nennen, an die Position der USA verantwortlich, es fehlt aber zum zweiten auch eine konsistente europäische Position. Die schwache, teilweise sogar widersprüchliche, EU-Außenpolitik tut offensichtlich alles, um einem alten (Vor)urteil, wonach Europa zwar als wirtschaftlicher und finanzieller Riese aber als politischer Zwerg agiert, gerecht zu werden. Dabei würde alleine die regionale Nähe eine klar definierte und aktive europäische Nachbarschaftspolitik notwendig machen.
Dass sich in einer wichtigen Nahostregion, in Westasien, gerade recht interessante Entwicklungen anzubahnen scheinen, dürfte der offensichtlich überforderten EU-Außenpolitik noch nicht so richtig aufgefallen sein. Dazu einige Stichworte: Annäherung Iran-Saudi Arabien, Annäherung von Staaten wie Ägypten, Saudi Arabien und VAE an BRICS und Shanghai Organisation, Wiederannäherung der Arabischen Liga und Syrien, mögliche Annäherung Türkei-Syrien, Kritik führender arabischer Staaten an Israel. Hier könnte trotz des Ukrainekriegs und der aufrechten Sanktionen gegen den Iran und Syrien, wobei es sich in beiden Fällen in erster Linie um US-Sanktionen, die von Europa nachvollzogen worden sind, handelt, doch Einiges in Bewegung geraten. Die EU scheint leider fast überall in der Zuschauerrolle zu sein. Unverständlich, vor allem auch die eigenen Interessen weitgehend vernachlässigend.

Obwohl es sich beim israelisch-palästinensischen Konflikt im Vergleich zu anderen regionalen Problemen um ein ziemlich kleines Territorium handelt, spielt dieser seit 75 Jahren (seit der Gründung des Staates Israel im Mai 1948) eine gewaltige Rolle. Bis heute ist er Ursache, mitunter auch Vorwand, für unzählige größere und kleinere militärische Auseinandersetzungen, bei denen alles in allem Hunderttausende Todesopfer, Millionen von Verletzten und aus ihrer Heimat Vertriebene zu beklagen sind. Zieht man die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen in Israel in Betracht, so ist eine dem Völkerrecht entsprechende Lösung des Konfliktes weiter entfernt als je zuvor. Dabei wäre diese – in aller naiven Rechtsgläubigkeit – klar definiert und das seit über 75 Jahren: Die historische britische Kolonie Palästina ist gemäß dem UN-Teilungsplan vom 29.11.1947 (UN Resolution Nr. 181) und diversen daran anschließender Resolutionen zwischen dem jüdischen Staat Israel und einem noch zu errichtenden palästinensischen Staat zu teilen. Alle weiteren Entwicklungen wie illegale Besetzung der palästinensischen Gebiete durch Israel sowie die Errichtung eines apartheidähnlichen Herrschaftssystems über die palästinensische Bevölkerung sind völkerrechtswidrig und daher zu beseitigen. Die Praxis sieht leider anders aus: Spätestens seit 1967, der Eroberung aller palästinensischer Gebiet im Sechstagekrieg, verhindert Israels die Realisierung der sogenannten Zweistaatenlösung. Trotz zahlreicher internationaler Resolutionen nimmt die internationale Staatengemeinschaft dies ohne Konsequenzen zur Kenntnis. Seite dem 29.12.2022 (Amtsübernahme der neuen israelischen Regierung) besteht eine neue Situation: In der Regierungserklärung wird nämlich die Zweistaatenlösung abgelehnt und das alleinige Recht des „jüdischen Volkes“ auf das Territorium zwischen dem Mittelmeer und dem Jordan proklamiert. Die meisten Staaten der Welt haben dies zwar – mehr oder minder deutlich – nicht anerkannt, messbare politische und /oder rechtliche Konsequenzen (es könnten z.B. Sanktionen wie seinerzeit gegen den südafrikanischen Apartheidstaat in Aussicht gestellt werden) gibt es bis dato jedoch keine.

Haltung zu Israel überprüfen

Wenn auch die Situation des heutigen Israel mit jener Südafrikas bis 1988/90 (Ende des Apartheidsystems) nicht hundertprozentig vergleichbar ist, so gibt es doch eine Menge an Ähnlichkeiten, manche Experten halten das derzeit in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten herrschende System sogar noch weitaus diskriminierender. Dennoch können und dürfen im Falle des jüdischen Staates Israel die historischen Ereignisse des weitgehend in Europa entstandenen Antisemitismus und des Holocaust nicht außer Acht gelassen werden. Es ist daher durchaus berechtigt, von einer ganz besonderen Verantwortung der Staatengemeinschaft für die infolge der Massenvernichtung von 6 Millionen Juden im Holocaust geschaffene Situation auszugehen. Und hier hat Europa, als der Kontinent, in dem Antisemitismus entstanden und im Holocaust seinen verbrecherischen Höhepunkt gefunden hat, eine besondere Verpflichtung. Dies ist zweifellos verständlich, dennoch sollte dies nicht dazu führen, die Augen vor der rassistischen und repressiven Politik Israels gegenüber dem palästinensischen Volk und seinen völkerrechtlich anerkannten Ansprüchen verschlossen werden. Betrachtet man die Haltung nahezu aller europäischer Regierungen und auch der EU ist dies leider der Fall, was angesichts einer rechtsradikalen Regierung in Israel unverständlich und inakzeptabel ist. Es wäre also jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, die Haltung Europas zu Israel, seiner Apartheidpolitik und einer dem Völkerrecht entsprechenden Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Die Zeitschrift INTERNATIONAL ist sich der besonderen Brisanz der in dieser Aussendung angesprochenen Themen sehr wohl bewusst. Als österreichisches Medium sind wir uns auch der besonderen ethischen und gesellschaftspolitischen Bedeutung einer aktiven antifaschistischen, antirassistischen und dem Menschen- und Völkerrecht verpflichtenden Haltung bewusst. Wir treten daher kompromisslos gegen weiter- bzw. neu entstehende antisemitische Tendenzen auf, wie auch gegen jegliche Art von anderem Rassismus und Neofaschismus. Ich darf bei dieser Gelegenheit nochmals auf die vor wenigen Tagen organisierte Präsentation des Buches „DEN SCHMERZ DER ANDEREN BEGREIFEN“ von Charlotte Wiedemann erinnern. Ich bedanke mich für den zahlreichen Besuch und verweise darauf, dass ein kompletter Mitschnitt der Veranstaltung auf unserem YouTube Kanal zu sehen ist: https://www.youtube.com/watch?v=klAwYqgtbWw. Dass die Durchführung der Veranstaltung auf der Diplomatischen Akademie in Wien leider untersagt worden ist, stellt meines Erachten nach ein weiteres Beispiel dafür, wie wichtig und notwendig eine ehrliche Auseinandersetzung mit diesem Thema ist, dar. In diesem Zusammenhang darf ich auch noch ein vor wenigen Tagen mit dem israelischen Historiker Prof. Moshe Zuckermann geführtes Gespräch über die aktuelle Situation in Israel in Erinnerung rufen: https://www.youtube.com/watch?v=5MUS1w8y4O0

Abschließend möchte ich noch zwei verlinkte Nachrichten empfehlen:
Die eine ist ein vom israelischen Kulturhistoriker Alon Confino verfasster Text „Die falschen Lehren aus dem Holocaust“, der die überarbeitete und leicht gekürzte Fassung eines am 12.1.2023 in Rom gehaltenen Vortrages enthält.
Die andere ist die Wiedergabe einer Stellungnahme des prominenten saudi arabischen Prinzen und langjährigen Botschafter seines Landes in den USA, Turki al Faisal, zur Bedeutung der Schaffung eines eigenen palästinensischen Staates gemäß den Beschlüssen der Vereinten Nationen.

Mit besten Grüßen!
Fritz Edlinger
Herausgeber und Chefredakteur

Links:

https://www.memri.org/reports/former-saudi-ambassador-us-prince-turki-al-faisal-there-will-be-no-normalization-relations