Was wird sich unter Präsident Biden wirklich ändern?

Was wird sich unter Präsident Biden wirklich ändern?

Ein persönliches Resümee von Wendelin Ettmayer

Shutterstock/Maxx-Studio

Donald Trump ist also Geschichte, auch wenn er sich nach wie vor als Opfer einer gigantischen Betruges sieht. Es ist nunmehr zweifellos interessanter, sich mit seinem Nachfolger Joe Biden und dessen Ankündigungen zu befassen. Inwieweit er diese auch tatsächlich durchsetzen wird können, hängt auch vom vorherrschenden politischen System in den USA ab, welches ja zweifellos weiter bestehen wird.

Über Donald Trump konnte man immer wieder lesen, er ist „der schlechteste Präsident, den die USA je hatten“. Dabei gibt es nichts, was seine Gegner ihm nicht vorgeworfen hätten: er ist ein Rassist; kriminell; eine Gefahr für das eigene Land. „Eine Schande für die politische Kultur des Westens“. Seinen Anhängern wurde vorgeworfen, dass ihnen „Verlogenheit, Niedertracht und Selbstverliebtheit ihres höchsten Repräsentanten gleichgültig sind“.1 Trump wurde als ein „Feind des Volkes“ hingestellt, als ein „historischer Irrtum“; unter ihm habe Amerika jede Glaubwürdigkeit verloren.

Nun wurde Donald Trump nicht wiedergewählt. Am 20. Jänner 2021 wird Joe Biden als neuer Präsident der Vereinigten Staaten angelobt. Sind nun damit alle Probleme des Landes beseitigt, nach- dem „der Ursprung allen Übels“ das Weiße Haus verlassen muss? Wohl nicht, denn viele haben übersehen, dass Donald Trump nicht der Urheber der aufgezeigten Missstände war, sondern erst eine Wahl gewinnen konnte, weil viele Amerikaner die herrschenden Eliten für die Missstände im Land verantwortlich machten.


Shutterstock (Trump-Anhänger bei „Besuch“ im Kapitol)

So wurde etwa in der Jänner-Ausgabe 2013 von „Foreign Af- fairs“ unter dem Titel „Can America be fixed?“ die tiefe Krise der amerikanischen Demokratie beklagt. Donald Trump hat dann

schonungslos das Versagen der Eliten während der letzten Jahr- zehnte aufgezeigt: die zahlreichen Kriege, in die die USA verwickelt wurden; die ungezügelte Globalisierung, die zu einer riesigen Kluft zwischen Armen und Reichen geführt hat; dass durch die Absiedlung von Betrieben sowie durch die Digitalisierung hunderttausende Menschen arbeitslos wurden und die Reallöhne des Mittelstandes seit 30 Jahren nicht mehr gestiegen sind.

Als Bernie Sanders 2015 seine Präsidentschafts-Kandidatur bekannt gab, verwendete er ähnliche Argumente. Tatsächlich war Trump nicht die Ursache dieser Zustände. Sein Erfolg war vielmehr ein Symptom dafür, dass einiges im Staate faul war. So schrieb auch Benjamin J. Rhodes, ein Mitarbeiter von Barack Obama, in seinen Memoiren, bei den Vorwahlen 2008 ist man gegen Hillary Clinton mit dem Argument angetreten, sie sei korrupt und man könne ihr nicht trauen. Auch die großen Protestbewegungen wie „Black Lives matter“ oder „Occupy Wall Street“ sind lange vor dem Amtsantritt von Donald Trump entstanden. Und um die illegale Einwanderung einzudämmen, wurde bereits 2006 ein „Security Fence Act“ verabschiedet. Damit wurde der Bau einer 1125 Meilen langen Grenzbarriere zu Mexiko beschlossen. 6000 Mann der Nationalgarde wurden dafür zusätzlich eingestellt.

Nun hat, wohl zurecht, der persönliche Stil von Trump viel Widerspruch hervorgerufen. Insbesondere wurde ihm vorgeworfen, ein Narziss zu sein. Ist er wohl auch. Allerdings: schon vor über 40 Jahren hat Christopher Lasch sein Buch „The Culture of Narcissim“ veröffentlicht und festgestellt, die ganze amerikanische Mittelschicht ist selbstverliebt, insbesondere das linksliberale Bürgertum. Auch andere, gegen Trump erhobene Vorwürfe, sind nicht neu. So sprach Thomas L. Friedman schon vor 20 Jahren vom „End oft he West“, als Europäer nicht bereit waren, mit den USA gegen den Irak in einen Angriffskrieg zu ziehen.2 Was den Vorwurf des Isolationismus betrifft, so muss die Frage erlaubt sein, wie weit eine Außenpolitik isolationistisch sein kann, die sich auf 800 Militärbasen rund um die Welt stützt. Und der Vorwurf, protektionistisch zu sein, wurde immer wieder gegen Washington erhoben; so etwa, als George W. Bush Zölle für Stahlimporte verhängte.3

Es soll hier keine Politik verteidigt, sondern lediglich aufgezeigt wer- den, dass viele der anstehenden Probleme in den USA weit über die Ära Trump hinausgehen. Er wurde auch stark wegen seines Mottos „America first“ angegriffen. Der künftige Präsident Joe Biden hat demgegenüber erklärt „Produce American-buy American“. Nur: was ist da der Unterschied? Tatsächlich hat es nie einen Präsidenten der USA gegeben, der nicht die Interessen des eigenen Landes in den Vordergrund gestellt hätte. Welche Unterschiede könnte es, so betrachtet, in der Innen- und Außenpolitik unter einem neuen Amtsinhaber im Weißen Haus geben?

Was wird sich innenpolitisch ändern?

Vorhersehbar ist, dass der Wandel in der amerikanischen Bevölkerungsstruktur weitergehen wird. Schon heute sind mehr als die Hälfte der 74 Millionen Kinder des Landes Nicht-Weiße. Noch vor der Mitte dieses Jahrhunderts werden die Weißen gerade noch 49 % der Bevölkerung ausmachen; Latinos, Schwarze und Asiaten zusammen hingegen die Mehrheit darstellen.4 Das ist auch politisch deshalb relevant, weil die Demokraten schon jetzt darauf setzen, mit einer Koalition dieser Minderheiten, zusammen mit sexuellen Minderheiten und weißen College- Absolventen, bei Wahlen jeweils eine Mehrheit zu erringen.

Damit wird wohl auch die Spaltung des Landes weitergehen; nicht nur in politische Parteien sondern auch ideologisch, sozioökonomisch und kulturell. Zur politischen Spaltung zwischen Stadt und Land kommt damit noch jene aufgrund der Geographie, der Demographie, der Hautfarbe und der Religion dazu.

Joe Biden hat schon gesagt, dass er im Sinne einer „Identity Politics“ einzelne Gruppen stärker berücksichtigen wird, als das zur Zeit der Fall ist. Das dürfte nicht allzu schwer sein. Im ersten Kabinett Donald Trump waren auf Regierungsebene 82% Männer und 86 %Weiße, nur 55% hatten bereits Regierungserfahrung. Die entsprechende Zusammensetzung lautete unter Barack Obama: 65% Männer und 52% Weiße, 87 % mit Regierungserfahrung.5 Nicht uninteressant wird sein, woher die Leute kommen. So besetzte Donald Trump die wichtigsten Wirtschaftspositionen wie den Finanzminister und den Vorsitzenden des Nationalen Wirtschaftsrates mit früheren Spitzenleuten von Goldman Sachs.

Wird es dem neuen Präsidenten gelingen, das Land zu einigen, wie er immer wieder betont? Wohl nur schwer. Es gibt vielmehr starke Anzeichen dahingehend, dass der seit Jahren tobende politische Bürgerkrieg weitergeht und die Gräben im Lande eher vertieft werden. Schon seit Jahren ist ein jedes der beiden großen politischen Lager bemüht, der anderen Seite das Recht abzusprechen, politisch legitim zu handeln, rechtmäßig zu regieren. Zu Zeiten der Präsidentschaft von Barack Obama gab es starke Gruppierungen innerhalb des rechten Lagers, die mit Nachdruck betonten, Obama wäre nicht auf amerikanischem Boden geboren. Damit hätte er, laut US-Verfassung, nicht für das Amt des Präsidenten kandidieren dürfen. Seine ganze Präsidentschaft wäre damit illegitim. Eine der vielen Trump’schen fakes.

Gegen Donald Trump gab es dann die Beschuldigung, sein Team hätte im Wahlkampf mit Russland zusammengespielt; er wäre praktisch mit russischer Hilfe gewählt worden und seine Präsidentschaft damit illegitim. Mit Robert Mueller wurde ein Sonderstaatsanwalt eingesetzt, um das aufzuzeigen. Viele Demokraten hofften, die als historischen Irrtum empfundene Wahl Trumps könne durch ein Amtsenthebungsverfahren beseitigt werden.

Nun erklärte Donald Trump nach seiner verlorenen Wahl, die- se sei ihm „gestohlen worden“. Viele seiner Anhänger werden das glauben, womit die Legitimität des neuen Präsidenten schon wieder entsprechend untergraben wird. Wenn man also die Frage stellt, wie es in den USA politisch weitergehen wird, muss man wohl davon ausgehen, dass die Kluft zwischen den politischen Gruppierungen größer wird. Es könnte daher in Zukunft noch schwieriger sein, Lösungen für anstehende Probleme zu finden.

Dazu kommt noch, dass politische Entscheidungen des bisherigen Präsidenten vielfach so dargestellt wurden, als wären es Willkürakte eines einsamen Irren gewesen. Dem war nicht immer nicht so. Hinter seinen Entscheidungen standen zumeist mächtige Interessensgruppen, die auch in Zukunft versuchen werden, ihre Ansprüche durchzusetzen.

So unverständlich es für einen Österreicher ist, dass in einem führenden Industrieland Millionen von Menschen keine Krankenversicherung haben, in den USA gibt es viele, die den Wohlfahrtsstaat ablehnen. Außerdem wurde für die „Obamacare“ ein privat- wirtschaftliches Finanzierungsmodell gewählt, bei dem bereits Versicherte persönlich spüren konnten, um wie viel ihre Beiträge durch die Neuzugänge erhöht wurden. Es hat einmal eine österreichische Bundesregierung gegeben, die eine „Weinsteuer“ und eine „Auto-Sondersteuer“ einführte, die von den Betroffenen persönlich entrichtet werden musste. Diese Regierung wurde kurze Zeit darauf abgewählt. Wie auch immer. Es ist damit zu rechnen, dass die Frage der Allgemeinen Krankenversicherung in den USA auch in nächster Zeit kontroversiell diskutiert werden wird.

Unabhängig von ihrer politischen Orientierung verurteilt heute eine deutliche Mehrheit der amerikanischen Bürger Übergriffe und Gewalt gegen Afro-Amerikaner. Wie kann es dennoch immer wieder zu Übergriffen staatlicher Organe kommen? Zum Teil hatten spezifische Gesetze, wie etwa jene im Zusammenhang mit dem „War on Drugs“ besonders negative Auswirkungen auf die schwarze Bevölkerung. Auch der „Violent Crime Control and Law Enforcement Act“ von 1994, Menschen, die dreimal straffällig wurden, lebenslang einzusperren, wirkte sich so aus. Dazu kommt, dass in den USA manche Aufgaben, die in anderen Ländern von Sozialarbeitern wahr- genommen werden, der Polizei übertragen sind. Es wird also auch in diesem Bereich äußerst schwierig sein, nicht nur eine Verhaltens-, sondern auch eine Bewusstseinsänderung herbeizuführen.

Zurzeit gibt es etwa 12 Millionen illegale Einwanderer in den USA. Jahrzehntelang ist es nicht gelungen, ihren Status zu regeln. Schon 2006 verurteilte Mexiko den Bau einer Mauer entlang der amerikanischen Grenze.6 Selbst Paul Krugman, Nobelpreisträger und führender Trump-Kritiker hat damals geschrieben, die illegale Einwanderung könne so nicht weitergehen, zu viele Arbeiter in den USA würden damit einer illegalen Konkurrenz am Arbeitsmarkt ausgesetzt. Präsident Biden wird zweifellos versuchen, auch in diesem Bereich neue Akzente zu setzen. Wird ihm eine dauerhafte neue Regelung gelingen?

Akzentverschiebungen wird es sicherlich in den verschiedensten Bereichen geben. So hat Trump den „Clean Power Act“, mit dem Obama die CO2 Emissionen um 32% reduzieren wollte, zurück- genommen. Andererseits hat Fracking unter Obama einen ersten Höhepunkt erreicht. Bekanntlich haben die USA Kyoto nie ratifiziert, also auch schon vor Trump. Wird es auch in Zukunft bei eher symbolischen Gesten bleiben? Man könnte die Liste dieser Themen beliebig fortsetzen. Was geschieht mit den Technologie- Giganten? Dabei geht es einmal darum, wie weit man ihnen entgegenkommt. So wurde etwa Amazon unter Obama das Privileg eingeräumt, Produkte zu besonders günstigen Bedingungen zu versenden. Die US-Post machte dabei Verluste, Amazon hingegen Milliarden Dollar Gewinne. Es geht aber auch um grundsätzliche Fragen, etwa darum, wie eine Gesellschaft beschaffen ist, in der Millionen von Menschen unter der Armutsgrenze leben, während andere Milliardäre werden.

Wird die Biden-Administration darauf eine Antwort geben? Eher unwahrscheinlich. Wahrscheinlich hingegen ist, dass führende Me- dien die in den letzten Jahren übernommene Rolle weiterspielen, nämlich die, nicht über Ereignisse zu berichten, sondern als Speerspitze im politischen Kampf zu agieren. Damit wird die innen- politische Polarisierung auch in Zukunft weiter verstärkt werden.

Was verändert sich außenpolitisch?

Die Welt verändert sich. Seit dem Aufstieg Chinas während der letzten Generation ist dieser Wandel besonders dramatisch und wird sich auf ähnliche Weise fortsetzen: im Jahre 2010 betrug der Anteil der USA an der Welt-Wirtschaftsproduktion (BIP) 23%, je- ner der EU 23,8%, der Chinas nur 16,1%, Indien kam auf 6, %. Im Jahre 2050 wird sich hingegen folgendes Bild bieten: Anteil der USA 15%; EU 13,8 %, China hingegen 27,9% und Indien 18 %.

Nun gibt es in den USA schon seit längerer Zeit eine Diskussion darüber, wie unter den geänderten Verhältnissen der amerikanische Führungsanspruch in der Welt erhalten werden kann. Dass die USA auch morgen die führende Nation sein sollen, das steht nicht zur Diskussion. Dieser Glaube, dem Donald Trump genauso anhängt wie Joe Biden, baut auf der Überzeugung vom „American Exceptionalism“ auf. Demnach sind die USA die „auserwählte Nation“, dazu berufen, die Welt zu führen.

Nun hat man Donald Trump immer wieder vorgeworfen, er wäre ein „Isolationist“, während Joe Biden auf einer multilateralen internationalen Ordnung unter amerikanischer Vorherrschaft aufbaut. Nur: war die Außenpolitik von Trump wirklich isolationistisch? Auch unter seiner Präsidentschaft waren 240.000 US- Soldaten in 172 Ländern stationiert. Ihre Aufgabe ist es, amerikanische Interessen überall, wenn notwendig auch mit Waffengewalt, durchzusetzen.

Joe Biden spricht nun davon, die gute alte multilaterale Ordnung wiederherzustellen, so, als hätte es diese je gegeben. Richtig ist, dass die USA nach dem Zweiten Weltkrieg ein System aufgebaut haben, das mit der UNO ihre politischen mit dem Währungsfonds

und der Weltbank ihre wirtschaftlichen und mit der NATO ihre militärischen Interessen absichern sollte. Das wurde durchaus als legitim betrachtet und brachte uns im Westen Sicherheit und Wohlstand. Nur: bei den wesentlichen Entscheidungen kam es nur auf eine Stimme an, auf jene der USA.

Nach dem gewonnenen Kalten Krieg verfolgten alle US-Präsidenten eine „Nationale Sicherheitsstrategie“, die darauf aufbaute, an der eigenen Souveränität bedingungslos festzuhalten. Zur Durchsetzung amerikanischer Interessen wurde das Militär eingesetzt, wenn notwendig auch präventiv. Seit sich bei den Vereinten Nationen die Mehrheitsverhältnisse geändert hatten, entwickelten die USA eine große Skepsis gegenüber der UNO, traten wesentlichen internationalen Verträgen nicht bei und sprachen sich ent- schieden gegen die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs aus. Schon 1995 betrugen die Schulden der USA gegenüber der UNO $ 1,3 Milliarden, sieben Jahre später immerhin noch $ 738 Millionen.

Donald Trump wurde auch massiv dafür kritisiert, dass er sich von einer „multilateralen Handelspolitik“ abgewendet hat. Tat- sächlich hat er gleich zu Beginn seiner Präsidentschaft das bereits ausgehandelte Transpazifische Handelsabkommen (TPP) sowie je- nes mit der EU (TTIP) gekündigt. Daraus wurde eine Glaubensfra- ge gemacht. Dabei hat man ganz vergessen, dass viele der späteren Trump-Gegner auch gegen das Transatlantische Handelsabkommen Sturm gelaufen sind. Man befürchtete von europäischer Seite nicht nur ein amerikanisches Diktat in Wirtschaftsfragen sondern auch Schäden für die eigene Gesundheit und die Umwelt. Trump ging es um die Arbeitsplätze für seine Wähler. Selbst Hillary Clinton hat dann in ihrem Wahlkampf eine Anti-Freihandelspolitik vertreten.

In den USA hat sich die Haltung der politischen Parteien zum Freihandel immer wieder geändert: in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren die Republikaner für hohe Zölle. Die großen Konzerne sollten beim Aufbau ihrer Industrien geschützt werden. In der zweiten Hälfte waren dann die Gewerkschaften gegen zu viel Freihandel. Die Arbeitsplätze ihrer Mitarbeiter sollten vor zu viel ausländischer Konkurrenz geschützt werden. Da der amerikanische Anteil am Welthandel in der kurzen Zeit von 2000-2010 von 16 % auf weniger als 10 % zurückgegangen ist, hat Trump dann schon in seinem Wahlkampf die Meinung vertreten, dass die ein- geschlagene Politik nicht die richtige war.7

Beim Handelskrieg mit China geht es natürlich um mehr als um Wirtschaftsfragen. Es geht darum, wie das neue Kräfteverhältnis in der Welt aussehen soll und wer das Sagen hat. Schon vor Trump haben Amerikaner und Europäer kritisiert, dass sich China nicht an festgelegte Regeln hält, Patente kopiert und seine Währung manipuliert. Als Trump dagegen mit Strafzöllen vorging, wurde ihm vorgeworfen, seine Maßnahmen wären viel zu hart, seine Vorgangsweise zu wenig diplomatisch. Gleichzeitig kündigten seine Gegner an, Peking in Zukunft viel härter wegen Menschenrechtsverletzungen in die Pflicht zu nehmen. Man wird sehen, ob diese neue Politik den gewünschten Erfolg bringen wird.

Die Zukunft wird auch zeigen, wie weit die „Rückkehr zu den gemeinsamen transatlantischen Werten“ nicht nur reines Wunsch- denken ist. Tatsächlich gibt es gerade bei Grundsatzfragen größte Meinungsverschiedenheiten zwischen Europäern und Amerikanern. So ist für die USA Krieg nach wie vor ein integraler Teil ihrer Außenpolitik, bei uns nicht mehr. In Europa wurde „Warfare“ durch „Welfare“ ersetzt. Für die USA gilt nach wie vor der Grundsatz „Foreign Policy without the Backing of the Military is like a Ba- se-ball Game without a Base-ball Bat“.

In Europa besteht zwischen den großen politischen Parteien ein weitgehender Grundkonsens hinsichtlich des Wohlfahrtsstaates, in den USA nicht. Es gibt gravierende Unterschiede bei zahlreichen gesellschaftspolitischen Fragen: so wandern in den USA zehnmal mehr Menschen ins Gefängnis als in Europa; hier hält sich auch der Einfluss reaktionärer religiöser Bewegungen in Grenzen.

Was die US-Forderung nach einer stärkeren Aufrüstung der NATO betrifft, so ist das keine Frage der Sicherheit, es geht viel- mehr darum, wieviel Geld man für Rüstungskäufe in den USA aus- geben soll. Das hängt auch damit zusammen, dass „Sicherheit“ in den USA eine Ideologie geworden ist. Es geht nicht um wirkliche Bedrohungen sondern darum, dass die Interessen des „Military-Industrial Complex“ entsprechend wahrgenommen werden.

Wird es diesbezüglich Änderungen geben? Wohl nicht wirklich. Auch manche Entscheidungen, die man einem „wirren Irren“ zugeschrieben hat, werden nicht leicht zu ändern sein. Sowohl hinter der Entscheidung, die amerikanische Botschaft nach Jerusalem zu verlegen, wie hinter der Aufkündigung des Iran-Abkommens stehen massive Interessen. Damit stellt sich die Frage: Wer regiert eigentlich die USA?

Wer regiert die USA?

Offiziell spricht man nicht von der „Regierung“ eines Präsidenten der USA sondern immer von seiner „Administration“. Der Begriff „Regierung“ (Government“) ist nämlich wesentlich weiter gefasst und beinhaltet auch beide Häuser des Kongresses, das Repräsentantenhaus und den Senat.

Darüber hinaus fällt auf, dass Präsidenten selbst wesentliche Punkte ihres Wahlprogramms oft nicht durchsetzen können. Donald Trump etwa versprach, die Beziehungen zu Russland zu ver- bessern. Am Ende seiner Amtszeit waren mehr US-Sanktionen gegen Moskau verhängt als je zuvor. Auch seine Erklärung, die NATO sei überflüssig geworden, musste er praktisch ins Gegen- teil verkehren und forderte höhere Beiträge für die Militärorganisation.

Barack Obama wurde bereits zu Beginn seiner Amtszeit der Friedensnobelpreis verliehen. Als er aus seinem Amt ausschied, führten die USA mehr Kriege als je zuvor. Auch sein Versprechen, das Gefängnis auf Guantanamo zu schließen, konnte er nicht einlösen.

Woran liegt das? Einmal eben daran, dass die parlamentarischen Vertreter eine starke Mitsprache haben und die Politik des Präsidenten entscheidend von der Mehrheit im Kongress abhängt. Sehr stark ist auch die Bürokratie, wenn man will der „Deep State“. Das hat nichts mit Verschwörung zu tun, aber sehr viel mit dem Selbstbewusstsein einzelner Institutionen. So schildert etwa Richard A. Clarke in seinem Buch „Against all Enemies“, dass Pentagon und CIA in der Terrorbekämpfung zunächst nicht das taten, was Präsident Bill Clinton wollte, sondern ihrer eigenen Wege gingen. Dazu kommt noch die Heerschar von Lobbyisten, die viel Geld ausgeben, um ihre Interessen durchzusetzen.

Nun hat der künftige Präsident Joe Biden gesagt, er möchte die militärischen Einsätze der USA eindämmen, das Ansehen seines Landes hingegen über seine Kultur und seine Lebensweise international erhöhen. Man wird sehen, wie weit er sich damit durch- setzen kann.


1 Frankfurter Allgemeine Zeitung; 5. November 2020
2 New York Times; 3. November 2003
3 The Economist; 9. März 2002
4 New York Times; 6. November 2020
5 The Economist; 21. Jänner 2017
6 Le Monde; 7. Oktober 2006
7 Diplomatie; Nr. 68; Mai- Juni 2014