Newsletter 84/2019 Beirut Spezial 2

 

Siebenter Tag der Proteste im Libanon: „The Protests will be our Classroom and the Classroom will be the Streets“

Seit letzten Freitag sind nicht nur die Banken, sondern auch die Universitäten und Schulen in Beirut geschlossen. Viel Solidarität mit der aktuellen Protestbewegung lässt sich unter den internationalen Studierenden an der American University of Beirut (AUB) finden. Gestern Abend findet sich eine Gruppe Studierender ein, um den Eingang zur Bliss Street, an dem sich auch der Haupteingang zur AUB befindet, zu blockieren. Für heute früh ergeht ein neuer Aufruf: bereits um 6 Uhr morgens finden sich Studenten ein, um die Bliss Street und die Main Road unten an der Corniche zu blockieren. Warum? Damit Druck ausgeübt wird auf die angrenzenden Geschäfte und die Universität, weiter geschlossen zu bleiben. Einige Libanesen werden nicht bezahlt beziehungsweise auch entlassen, wenn sie an den Protesten teilnehmen, anstatt zur Arbeit zu erscheinen. Aufgrund der blockierten Straßen haben sie einen Grund, nicht zur Arbeit zu müssen.
Ab Mitte der Woche finden erstmals öffentliche Veranstaltungen im „The Egg“ in Downtown Beirut statt. Dabei handelt es sich um eine Bauruine, die ursprünglich als Kino und Einkaufszentrum geplant war, aufgrund des Bürgerkrieges aber nicht lange geöffnet hatte und teilweise unvollständig blieb. Unter dem Titel „Eggupation“ lädt eine Gruppe von Akademikern, Künstlern und Studenten zu public teach-ins. Das Ziel ist es, während der Demonstrationen einen Raum für offenen Diskurs zu schaffen. Auch Professoren der American University of Beirut wirken mit. Der Vortragende im Fach „Public Policy“, Dr. Charbel Nahas, spricht beispielsweise über „Capitalism, Crisis, Commons“. Die aktuellen Ereignisse und Entwicklungen werden zum Thema und beflügeln Diskussionen.
Wie nimmt man seine Rolle als nicht-libanesischer Staatsbürger während den Protesten wahr? Dr. Nikolas Kosmatopoulos, Professor für Anthropologie, griechischer Staatsangehöriger: „Als Grieche sehe ich mich hier im Libanon als ein Arbeitnehmer, der seine Arbeitsrechte wahrnehmen kann, aber nicht seine politischen Rechte. Ich verstehe Nationalstaaten als offene Gebilde für alle, die hier leben und arbeiten. Die Libanesen haben nun sehr viele Ideen für die Zukunft. Als ausländische Bevölkerung können wir vielleicht mit unseren eigenen Standpunkten zur Debatte beitragen.“
Die Stimmung in der Bauruine, untermalt mit der Musik der draußen stattfindenden Demonstrationen, hinterlässt jedenfalls Eindruck. Vielleicht ist „The Egg“ ein Ort, an dem man sich einen Neubeginn vorstellen kann, so die Initiative.
(Mag. Carina Radler, Graduate Studies in Public Policy and International Affairs an der American University of Beirut)