Kubas neuer Anfang

Kubas neuer Anfang

Ein Resümee von Gerhard Drekonja-Kornat

Shutterstock/Florian Augustin

Die Abwahl Donald Trumps läßt auch Kuba wieder hoffen. Ob die aktuelle Führung in Havanna aber zu tiefgreifenden Reformen den Mut aufbringen wird, bleibt abzuwarten. 62 Jahre nach der sieg- reichen Revolution wäre es Zeit dafür.

Kuba hat das annus horribilis 2020 überlebt, trotz Trump, trotz Andauern des US-Embargos, trotz Covid-19-Virus, welches medizinisch unter Kontrolle blieb, aber den Devisentourismus, inzwischen die Lebensader der Zuckerinsel, fast über Nacht aus- trocknete. Immerhin blieben besonders bösartige Treffer aus der jüngsten Hurrikan-Saison aus.

2021 wird definitiv besser: Trump ist out, Havannas internationaler Flughafen wurde vorsichtig für Devisentouristen wieder eröffnet, und die überfällige Zusammenführung der Währungen ist seit den ersten Januar-Tagen unterwegs. Somit steht zur Debatte: Weiterhin vorsichtig öffnen oder radikal Neues wagen? Denn die revolutionäre Castro-Ära ist vorbei, der Zivilist Miguel Díaz-Canel Bermudez, ein rüstiger Sechziger, seit April 2018 Präsident des Staats- und Ministerrates und seit Oktober 2019 Staatspräsident der Republik Kuba, wird mehr tun müssen als nur das bisherige „actualizar la revolución“ betreiben, also kleine Korrekturen ja, aber ohne die Essenz der Revolution anzutasten. Sein Lieblingshashtag „Somos Cuba, somos Continuidad“ zieht nicht mehr!

Erinnern wir uns: Fidel Castro verkörperte von Anfang an die Revolution, also von 1959 bis zum Jahr 2008, als er, geplagt vom Alter, vor seinem Hinscheiden (im November 2016) an seinen Bruder Raúl übergab. Dieser „Raúlismo“ dauerte ohne einschneidende Veränderungen bis 2018. Dann erst durfte der Zivilist Díaz-Canel, auf der Basis einer internen Arbeitsteilung, in die Präsidentschaft einrücken – wobei Raúl Castro als Vorsitzender der Kommunistischen Partei Kubas immer noch viele Fäden in der Hand hält. Daher vorerst doch keine Befreiungsschläge. Indes, die Desaster des Jahres 2020 brachten dann doch die wirkliche „Aktualisierung“! Im neuen Jahr 2021 wird gehandelt! Und die unausweichliche Währungsreform ist auch schon da!

Bevor wir darauf eingehen, wollen wir zum Anfang zurück. Dazu drei Anmerkungen:

Erstens: Die Weltbank gab 1952 ihren ersten Kuba-Report heraus. Seine Autoren verwiesen streng auf die niedrige Rentabilität der ohne Absicherung auf den Haziendas schuftenden Zuckerrohrschneider, deren soziale Lage als beklagenswert eingestuft wurde. Gleichzeitig bezeugten die Autoren die erstaunliche Modernität der Hauptstadt Havanna, welche ihrer Meinung nach alle anderen lateinamerikanischen Kapitalen übertrumpfe.

Zweitens: Havanna als Paradies: Als der kubanische Meisterromancier Guillermo Cabrera Infante sein Werk „Drei traurige Tiger“ (im Original das Spiel mit dem Zungenbrecher „Tres tristes tigres – trigo trigaban en un trigal“) herausbrachte, kümmerte er sich nicht um die bereits etablierte Revolution, sondern feierte das vorrevolutionäre Havanna des Jahres 1958, als großstädtisch elegante Amüsierwelt, in der drei junge Männer im Cabrio das Stadtviertel Vedado, zwischen dem Hotel Nacional und dem funkelnagelneuen Havanna Hilton, mit seinen Bars, Nachtclubs und Absteigen, durchstreifen, über Filme, Skandale und Schauspielerinnen schwätzen, sich mit Revuegirls herumtreiben und unentwegt Radio hören, wo die neuesten Songs von Benny Moré vibrierten. Kurz: Ein großstädtischer Himmel auf Erden!

Drittens: Aber war Kuba nicht die Hölle? Trieb es Havanna nicht als karibisches Babylon? Wankten doch Zuckerrohrschneider als Zombies durch verkohlte Felder? Kinder mussten in Lumpen in die Schule gehen! „Es así como puede hacerse una patria grande?“ – fragte 1953 der wegen Rebellion angeklagte Fidel Castro seine Militärrichter nach dem amateurhaften Angriff auf die Moncada- Kaserne: „Kann man so ein starkes Vaterland aufbauen?“ Kurz, der aus der tiefsten Provinz stammende Fidel Castro sah überall nur Abgründe. Daher die Rebellion. Denn „Die Geschichte wird mich freisprechen!“

Irgendwie haben alle Zeugnisse dieser Art, so oder so, recht. Kuba, damals an der Peripherie der US-Konsumgesellschaft reich und präpotent, hatte Potential, verluderte es aber während der Batista-Diktatur.

Somit sollte das letzte Wort der Rebell Fidel Castro behalten, der im Jänner 1959 als Sieger in Havanna einzog, um alles umzukrempeln.

Inzwischen ist die Revolution mehr als 60 Jahre alt. Viele heroische Taten gelangen: Der bösartige Rassismus der weißen Elite mit einem Streich gelöscht – gültig bis heute! Analphabetentum binnen zweier Jahre eliminiert. Lebenskosten drastisch gesenkt. Neue Schultypen („Escuela en el Campo“) geschaffen. Medizin für alle. Kulturförderung auf vielen Ebenen. Ausländischen Be- sitz verstaatlicht. Stolz und Würde der kubanischen Männer und Frauen gefördert! Revolutionären Geist gepredigt und auch in die Tat umgesetzt – wenn auch das Weitertragen des Guerillakampfes nach Lateinamerika tragisch endete und eine ganze Generation von dortigen Studenten verschliss. Aber auch heute noch der bärige Stolz auf Kubas militärischen Einsatz 1975/85 – „Operation Carlota“ – in Angola (von Europa nie zur Kenntnis genommen), was in der Folge den Zusammenbruch des Apartheid-Regimes in Südafrika nach sich zog.

All dies forderte unweigerlich die Vereinigten Staaten heraus, deren Investoren-Unternehmer – neben den tüchtigen US-Mafiosi – sich als die eigentlichen Herren des Landes aufspielten. Daher bald energische Proteste aus dem von Hysterie getriebenen Washington. Bald auch Sabotageakte sowie die versuchte – aber missglückte – Schweinebucht-Invasion der Exilkubaner 1961. Dann auch verschiedene Varianten von diplomatischen und politischen Embargos (was in Kuba bis heute „bloqueo“ heißt).

Die Sowjetunion rettet die Revolution

Zum Überleben der Revolution war also die Umarmung der Sowjet- union unausweichlich – bis zum bereitwillig akzeptierten atomaren Hauch im Oktober 1962. Intern die leidenschaftliche Wirtschaftsdebatte, der Streit um Geldökonomie („materielle Inzentive“) oder puren Sozialismus („moralische Inzentive“). Dann der Wahnsinn der „10-Millionen-Tonnen“, als alle, wirklich alle Kubaner aus der Stadt ihre Tätigkeiten im Stich lassen mussten, um auf den Zuckerrohrfeldern zu schuften: Erreicht wurden 8,5 Millionen Tonnen, die wiederum im Tausch mit dem Ostblock nur Ramschwert besaßen.

1969/70, das weiße Bürgertum saß längst in Miami, waren alle beschlagnahmten Reserven aufgebraucht. Kuba im Bankrott! Nun sprach Moskau das Machtwort: Schluss mit den ideologischen Experimenten! Einschwenken auf die offizielle Linie der Sowjet- union, wirtschaftlich, politisch, kulturell. Weg mit den Bärten und Kampfanzügen der langhaarigen Ex-Guerilleros. Stattdessen kurzer Haarschnitt, Anzüge und dunkle Krawatten! Nicht zufällig wird im Jänner 1974 die „Granma“ (die Jacht, auf der 82 Revolutionäre von Mexiko nach Kuba übersetzten) mit bunten Fanfaren in das heutige Revolutionsmuseum eingeliefert. (Der Autor dieser Zeilen war ein privilegierter Beobachter dieses historischen Moments1).

Graue Jahre begannen, vor allem kulturell. Enttäuscht verließen die letzten Revolutions-Intellektuellen die Insel ihrer inzwischen versandeten Träume. Orthodoxie hatte nunmehr Oberhand. Davon profitierte enorm der ländliche Bereich, während Havanna, die Hauptstadt, deren Musiker, Sänger, Tänzer und Tänzerinnen, Kellner, Barbetreiber, ja auch Zuhälter, in Schweigen verfielen oder sich nach Miami oder Madrid absetzten. Nur das „Tropicana“, im- mer noch mit aufregend schönen Körpern, aber jetzt ohne Sex, durfte bleiben – als Belohnung für eifrige Zuckerrohrschneider oder exemplarische Revolutionäre. Somit hatte die Revolution die Aussage des Weltbank-Reports von 1952 auf den Kopf gestellt: Nun blühte, in Maßen, der ländliche Raum auf, während Havannas Lichter ausgingen.

Es bleibt, neben Zweifeln, die Frage: Warum hat es die Revolution nie fertiggebracht, ausreichend Gebrauchsgüter, Handwerkszeug, Textilien, Küchengeschirr, Ventilatoren, Kühlschränke, Toilettartikel etc. bereitzustellen? Ganz zu schweigen von Nahrungsmitteln, für die Havannas Bürgerinnen und Bürger bald Schlange stehen mussten, auf den Schwarzmarkt auswichen oder einfach schwarz „organisierten“? Besonders krass fiel während all dieser Jahre ins Gewicht, dass die Revolution die Bevölkerung des Landes nie voll aus Eigenem ernähren konnte. Defizite fielen überall an, sodass bis heute 80 Prozent der Lebensmittel (gegen cash auf die Hand aus den USA) importiert werden mussten und noch müssen.

Es gilt dafür die große Ausrede – „el bloqueo“, sprich das Embargo seitens der Vereinigten Staaten. Es gibt indessen auch interne Gründe: Auf dem besten Ackerland wird Zuckerrohr großflächig angepflanzt; andere Agrarflächen verwilderten in den Revolutionsdekaden und fallen somit als Weiden für das Vieh oder für kooperativen Landbau aus. Ganz entscheidend: Kubas Revolution misstraute den Bauern, immer als potentielle Konterrevolutionäre verdächtigt. Und misstraute noch mehr den selbständig handeln- den Mikro-Unternehmern, wie in den frühen Jahren des „Raúlismo“ dann auch freigegeben – und inzwischen auf eine halbe Million freischaffende Akteure angewachsen. Anthony DePalma, heute der intimste Kenner des kubanischen Alltags, fand dafür in seinem neuesten Kuba-Report Buch diese ironische Einschätzung: „Socialist officials urged would-be Cuban capitalists to go ahead and open their small businesses, then they erected layers of burdensome regulations to limit profit and handicap success. Their real goal was not to lift millions out of poverty. It was to prevent anyone from making millions.“2

Das einzige Experiment mit Freigabe bäuerlicher Erzeugung lief in den mittleren 1980ern – und war erfolgreich. Auf Ermunterung genau rechnender sowjetischer Berater, die sparsamer nach Kuba transferieren wollten, begann in den frühen achtziger Jahren eine experimentelle Liberalisierung. In ihren besten Momenten operierten „freie Bauernmärkte“, was die Versorgung der Bürger von Havanna erheblich verbesserte. Es florierten auch private Tausch- und Kaufmöglichkeiten – vor allem auf der Basis von bezahlten Kleinanzeigen in der monatlichen Zeitschrift „Opina“, wo auch private Handwerker ihre Angebote einbrachten. Im staatsindustriellen Bereich wurde mit Bonuszahlungen experimentiert. Wir damalige „Kubanologen“ publizierten euphorisch über Kubas tentativen „ungarischen Weg“.

Allerdings, inmitten des 3. KP-Parteitags im Februar 1986, mußte Fidel Castro die Angst vor der „Verbürgerlichung“ der Revolution gepackt haben. Als der Chef begriff, dass ein Bäuerlein seinen Knoblauch (ein für die kubanische Küche unentbehrliches Produkt) in den Straßen von Havanna angeboten, das Vielfache eines Hospitaldirektors (der nur offizielles Salär bekam) verdiente, diktierte er in einem Wutanfall die „rectificación de errores y tenden- cias negativas“, was die tastende Marktöffnung abwürgte. Einmal in Fahrt, gab er am 26. Juli 1986, traditionell revolutionärer Feier- tag, die Order an die Polizei, gegen „Schlendriane, Bummler und andere asoziale Elemente“ ohne Nachsicht vorzugehen. Vorbei mit „Öffnungen“ – weswegen Moskau die kubanische Revolution weiterhin subventionieren musste, ohne Havannas Einwohnerschaft von Knappheit befreien zu können.

Tourismuseinnahmen ersetzen sowjetische Hilfe

Allein, die Sowjetunion zerfiel nach 1990. Kuba stand plötzlich ohne Reserven da. Eine bösartige Krise braute sich zusammen. Hungerrevolten brachen aus. Es musste zur Abfederung ein „periodo especial en tiempos de paz“ ausgerufen werden. Von der Not getrieben, fiel damals die Entscheidung, die kubanische Revolution dem Devisentourismus zu öffnen. Fidel Castro opponierte einige Zeit. Hatte doch die Hungerphase des período especial den Kubanern die revolutionäre – sozusagen auch die „bürgerliche“ – Moral ausgetrieben. Um damals in Havanna zu überleben, rechtfertigte sich jede Gemeinheit. So beschreibt es in Erinnerung der Chefredakteur einer digitalen Zeitschrift, Jorge Alberto Aguiar Díaz: „Alle hatten sich angewöhnt zu stehlen. Zu stehlen, um etwas zu essen zu haben. Die Regierung hatte eine Bande von Gaunern aus uns gemacht, die sich großartig fühlten, wenn sie ein paar Pesos in der Tasche hatten. Wir verkauften Parfüm zu Wucherpreisen, Milchpulver, russisches Dosenfleisch und alles, was sich sonst noch anbot“.

Fidel Castros Argwohn gegen die vorgeschlagene Öffnung für Devisentourismus war durchaus berechtigt. Erstens verteufelte er, erzogen im Colegio von Jesuiten und somit einen moralischen Rigorismus verpflichtet, das Mafia-Sündenbabel aus der Zeit vor 1959. Zweitens spürte er wohl, wie in einer bitterarmen Gesellschaft der plötzliche Einstrom von Touristen Prostitution aufblühen lassen könnte. So wollte er vorerst nur eine – für Ein- heimische gesperrte – Touristenenklave auf der paradiesischen Halbinsel Varadero zulassen. Das hat nie funktioniert – und wäre ja auch schlimmer gewesen als in der plutokratischen Zeit vor 1959.

Es war das Genie von Dr. Eusebio Leal, damals als „Stadthistoriker“ in eine bürokratische Nebenstelle abgeschoben, der den Revolutionschef davon überzeugen konnte, dass Qualität einige der befürchteten negativen Auswirkungen von Devisentourismus neutralisieren könnte. Sein Vorschlag: Die historische, inzwischen funktionslose und verslumende Altstadt („La Habana Vieja“) Schritt für Schritt zu renovieren, damit Neues zu schaffen und mit den daraus resultierenden Einnahmen das ehrgeizige Projekt auch zu finanzieren.

Die Rechnung ging auf. Nach mehr als drei Dekaden sorgsamer Rekonstruktion glänzt die historische Altstadt heute als Juwel, ist anerkanntes UNESCO-Kulturerbe und führt in der Verlängerung zum paradiesischen „Malecón“, der sieben Kilometer langen Meerespromenade.

Und die Touristen kamen. Zuerst Kanadier und Brasilianer, gefolgt von Westeuropäern. Bald fünfhunderttausend im Jahr, dann eine Million, bald aufgestockt auf zwei Millionen, und, mit zögerlicher Reiseerlaubnis aus Washington, Hunderttausende extra. Im bisher letzten Zähljahr schloss der Tourismus mit mehr als vier Millionen Besuchern ab. Eine ehrgeizige Projektplanung will die jährliche Besucherzahl auf sieben Millionen stemmen – wofür luxuriöse Hotel-Schiffe dienen sollen, um tauchsüchtige Besucher auf den Hunderten von Keys entlang der nördlichen Strände verwöhnen zu können. Plötzlich brauchte die Revolution auch wieder die in den 1960ern verfemten Künstler, Sänger, Gitarristen, Tänzer, Balletteusen. Es explodierte der Son Cubano. Der Musikfilm „Buena Vista Social Club“, eigentlich eine deutsche Spurensuche, brachte das vergessene Erbe erneut zum Glänzen. Bald kein Staats- hotel ohne Combo, Tanz, Ballett, Show. Paradiesvögel überall, alles übrigens sehr keusch.

Kubas Eingeborene nehmen diesen Kitsch achselzuckend zur Kenntnis, denn ihre Salsa-Lebensfreude bleibt davon unberührt. Nur wenn eine Combo auf touristisches Verlangen – und man ver- langt es immer – „Comandante Che Guevara“ anstimmt, drückt es Altrevolutionäre im Hals. Was soll’s, Hauptsache das Dollar- Trinkgeld macht die Runde.

Die ganz Jungen wollen damit überhaupt nichts mehr zu tun haben. Sie stehen bereits jenseits von Salsa und verschreiben sich dem „Reggaetón“, diesen musikalischen Verschnitt von Salsa, hip-hop und Gangsta-rap, weiterentwickelt zu einer plärrenden, kreischenden, schrägen Musik, mit obszönen sexistischen Texten. Wenn dazu getanzt wird, gibt es eher nur ein Aneinderreiben von Körperteilen, quasi als vertikaler table-dance. Man könnte auch sagen: Ausschweifende Anarchie ist ihre generationelle Rache an der Revolution!

Natürlich hatte dies alles seinen Preis. Als Schmiermittel für ein reibungsloses Funktionieren der partiellen Öffnung und zur Vermeidung von Inflation sowie einer offenen Dollarisierung wurde die Fiktivwährung des an den US-Dollar gebundenen CUC (Peso Cubano Convertible) geschaffen, denn der CUP (Peso Cubano) ließ sich nur in der Staatswirtschaft brauchen und war taubes Papier. Wobei die Relation grob 1:23 ausmachte, mit täglich miniskülen Variatonen, ablesbar immer an den ausgedruckten Rechnungen in einer Bar oder im Restaurant. Wer CUCs im Tourismusgeschäft ergattern konnte, schlug sich besser als die CUP-Habenichtse durch den mühsamen Alltag. Dies alles ist mit der Währungsreform vom 1. Jänner 2021 Makulatur: Wer CUCs hat, darf sie innerhalb der kommenden sieben Monate, in Relation 24:1 für CUPs eintauschen, deren Wert entsprechend anzieht: Die Inflation wird grausam sein!

Ein Schritt zurück: Mit dem zaghaften „Raúlismo“ (wobei damals die CUCs aufblühten) kam es ab 2011 zu vorsichtigen Öffnungen im wirtschaftlichen Bereich, beginnend mit den „lineamientos“, die Freigabe von rund 120, und bald mehr, privaten Tätigkeiten, gefolgt vom Freiraum für „paladares“ (privat geführte Restaurants), Vermietung von Wohnraum an ausländische Touristen (casa particulares), relative Freiheit für Mini-Unternehmer (cuentapropistas) und Kleinbauern, etappenweise gefolgt von Freiheit für Erwerb von Eigentum oder Erlaubnis, selber zu restaurieren oder neu zu bauen. Aber solches gelang nur, wer CUCs in der Hand hatte, umgetauscht gegen Dollarscheine, übersandt von Verwandten aus Miami oder als Betreuer von Devisentouristen mittels Taxis, Coco-Taxis oder selbstgebastelten Fahrrad-Rikschas. Alle anderen blieben draußen in Armut, denn das monatliche Salär in CUPs betrug im Höchstfall an die 900 CUPs, mit vielen Abstufungen nach unten, deren billigste Etage die – heute immer zahlreicheren – Pensionisten drückt, die mit etwa 400 CUPs aus- kommen sollen. Was eben nicht reicht, weswegen vor Hotels gebettelt wurde. Dies natürlich nur vor billigeren Häusern, denn die neuesten Fünf-Sterne-Herbergen, alle mit riesigem Pool auf Dachterrassen, welche jüngst in Erwartung der US-Touristen aus dem kubanischen Altstadtboden wuchsen (500 USDollar pro Nacht, Frühstück extra!), wussten mit hochgezogenen Eingängen sich dagegen zu wehren. Aber man konnte vor den teuren Einkaufsgalerien im jeweiligen Erdgeschoss zusehen, wie US-Sugardaddys attraktive afrocubanische Freundinnen beschenkten. Freilich, im Moment steht alles gähnend leer.

Aber in den späten 1990ern ereigneten sich interessante Momente. Bei aller Ungleichheit regte sich Havanna immer lebhafter und begann auch Luxus zu zeigen. Und dann passierten überhaupt Wunder: Dank US-Präsident Barack Obama kam es 2014 zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehung Washington-Havanna. Im März 2016 reiste Obama in Begleitung seiner Gattin persönlich in die kubanische Kapitale und saß neben Raúl Castro auf einer Bank im Baseball-Stadium. Einige Quälereien des dekadenalten „bloqueo“ verstaubten. Türen öffneten sich. Havanna und Miami begannen miteinander zu kommunizieren. Dollarüberweisungen von exilkubanischen Verwandten aus den USA flossen problemlos. Schließlich durften sogar Kreuzfahrtschiffe von US-Reedereien in das riesige Hafenbecken der kubanischen Kapitale einfahren. Auf dem Malecón wurden Autorennen für eine Hollywood-Filmproduktion gefahren.3 Havanna holte tief Atem. Ein politisch-gesellschaftlicher Frühling blühte auf. Die digitale Revolution erreichte, verzögert, auch die kubanische Welt. Celulares (Handys jeder Art) überall. Intellektuelle und Literaten kommunizierten relativ klag- los über blogs oder in online-Publikationen. Internet expandierte. Künstler agierten international erfolgreich. Wer ein Visum plus Geld für ein Ticket ergatterte, durfte ausreisen. Im Dezember 2016 verzieh Federica Mogherini, damals EU-Außensprecherin, manche Verletzung von Menschenrechten und unterzeichnete nach einem Verhandlungsmarathon in Havanna das „Abkommen über Dialog und Zusammenarbeit“, was Europa in die kubanische Öffnung einband.

Alle diese positiven Tupfer gipfelten 2019 in Feiern: 60 Jahre Revolution! 500 Jahre Stadt La Habana! Nach endloser Renovierung Wiedereröffnung des „Capitolio“ und des „Gran Teatro“. Kanadische Pyrotechniker zündeten im November 2019 zu Ehren der kubanischen Hauptstadt ein pharaonisches Feuerwerk.

Trump setzt Sanktionen wieder inkraft

Dann Pech: Inzwischen residierte Donald Trump im Weißen Haus in Washington. Persönlich kümmerte er sich nicht sonderlich um Kuba. Wohl aber die nie vergebende exilkubanische Gemeinde in Miami, heute koordiniert von Senator Marco Rubio, der Trumps Sicherheitsberater aufhetzte, um Kuba wieder dem Joch des strengen „bloqueo“ zu unterwerfen. Es begann mit einzelnen Nadelstichen, die sich zu schmerzhaften Hieben verdichteten. Sogar die bejubelten US-Kreuzfahrtschiffe dürfen seit September 2019 nicht mehr einlaufen. Und dann noch der besonders harte Schlag: Erdöltanker aus Venezuela schaffen es nur noch sporadisch nach Havanna, weswegen Knappheit bei Elektrizität und Kochgas quält.

Resultat: Kuba musste erneut eine Mega-Krise meistern. Sie wird, meinten wir ursprünglich, nicht so bösartig ausfallen wie die in den frühen 1990ern, als nach der Implosion der Sowjetunion fast alles zum Stillstand kam. Kubas wirtschaftliche Textur präsentiert sich heute robuster. Indes, Covid-19 und damit der totale Ausfall des Devisentourismus seit März 2020 potenzierte die Krise. Erneut galt für „libreta“-Berechtigte Warteschlangen vor den staatlichen Verteilern von Grundnahrungsmitteln. „Las colas ya no duran horas sino días“, kommuniziert die exemplarische Bloggerin Yoani Sánchez im Juni 2020, „die Warteschlangen dauern derzeit nicht Stunden, sondern Tage!“ (www.14medio.com).

Freilich, das eigentliche Krisenmanagement muss der Finanzminister handhaben. Überall brechen die Deviseneinnahmen weg. Be- sonders schmerzhaft: Das Ausbleiben der Gelder aus jenen Dritt- Welt-Staaten, die offiziell kubanische Ärzteteams beschäftigen und deren Honorare zu zwei Dritteln direkt an den kubanischen Staat fließen. Wo kubanische Helfer rausfliegen, bleibt der Devisengewinn aus: minus 400 Millionen US-Dollar im Jahr aus Brasilien zum Beispiel. Was hilft: Havannas Bevölkerung sitzt schon seit 60 Jahren Krisen aus. Freilich, die revolutionäre Begeisterung hat sich verflüchtigt. Fidels Mantra-Satz „Convertir el revés en victoria“ (Einen Rückschlag in Sieg verwandeln) zieht nicht mehr. Zumal der klassische Habanero nicht in der restaurierten Altstadt wohnt, sondern in den Vierteln westlich davon, im „Centro“, der Bezirk, der im 19. Jahrhundert außerhalb der Stadtmauer wuchs und des- sen Bestand zum Trümmerhaufen verkommt. Oder in den Slums der Randzonen, in Guanabacoa etwa, wo die „Mamelucos“, illegal aus dem kubanischen Osten Zugewanderte, vegetieren. (Kuba erlaubt keinen freien Wohnsitz!)

Auch der „Malecón“ spiegelt nicht mehr den Glanz von früher. Zwei besonders bösartige Hurrikans, gefolgt von einem Tornado, schlugen schmerzhafte Wunden. Einer, „Irma“, überflutete 2017 nicht nur den Malecón, sondern überschwemmte die „Rampa“ hinauf fast bis zum ehemaligen Hilton-Hotel, heute „Habana Libre“. Da infolge der neuesten Krise weder Geld noch Energie vorhanden sind, bleiben die Schutthaufen einfach liegen. Auch am Malecón. Niemand räumt auf. Die Devisen-Touristen auf den halbstündi- gen Hop-on-hop-off-Bussen wundern sich, fotografieren aber dennoch. Solches kam Corona-bedingt seit März 2020 sowieso zum Erliegen.

Makulatur überall: Covid-19 erreichte Kuba am 11. März. Sofort Einreisestopp! 60.000 Europäer, zu jenem Moment in Havanna oder in Varadero urlaubend, mussten mittels Charterflügen über- hastet zurückgeholt werden. Alle Hotels ohne Gäste! Einheimische stellen sich in Schlangen vor den staatlichen Verteilerzentren an – aber es fehlt an allem, vor allem auch an Kochgas. In kubanischer Erinnerung war die Krise von 1961 abschreckend. Heute würgte sie noch böser. Aber auch das wurde inzwischen durchgestanden. Denn im Unterschied zur medizinische Katastrophe in den meis- ten südamerikanischen Staaten erleidet Kuba keine Panik, weil Havannas ausgezeichnetes Kontroll – und Gesundheitssystem Corona im Griff hält Alles in allem nur an die 200 Corona-Tote im abgelaufenen Jahr.

Trotzdem entpuppt sich infolge von Corona der Devisentourismus, welcher die Revolution letzthin beinahe triumphieren ließ und dem alle revolutionären Inhalte geopfert worden waren, als Falle.

Was also tun?

Drei Bereiche verlangen strategische Entscheidungen:
Als Punkt eins: Zusammenführen von CUC und CUP, eigentlich logisch, weil vorher schon Kubanern der Besitz von Fremdwährung erlaubt worden war, um in spezifischen „Dollarläden“ einkaufen zu dürfen.
Jetzt ist es soweit: Präsident Miguel Díaz-Canel, begleitet unausweichlich von Raúl Castro, gab in einer Fernsehansprache das Eliminieren der Fiktivwährung des CUC bekannt, mit einer Tausch-Relation 1:24 zum CUP, womit in kommenden Monaten, eingefasst von weiteren wirtschaftlichen Maßnahmen sowie einer komplizierten Preis-Lohn-Politik, sich ein freierer Markt einpendeln soll. Mal sehen, was daraus wird: Inflation wird unausweichlich sein.

Bei Punkt zwei, Liberalisierung im agrarischen Bereich, sieht es haariger aus, denn als Kondition verlangt der greise Raúl Castro weiterhin ideologische Kontrolle. Indes, darunter könnte mit der Zeit viel Protokapitalismus aufblühen, vor allem bei Bauern und Landkooperativen, was Kuba zwar nicht mehr den obsoleten „ungarischen“ sondern den „vietnamesischen Weg“ einschlagen ließe und Havannas Bevölkerung dank eines lockeren Kleinkapitalismus einigermaßen ernähren könnte.

Hoffnungslos sieht es vorerst bei Punkt drei, umfassendere intellektuelle Freiheiten, aus, denn zu drakonisch funktionieren im total verdrahteten Havanna die Kontrollen, welche Havannas atomisierte Zivilgesellschaft, deren Energie vom alltäglichen Überlebenskampf aufgesaugt wird, lähmen. Außerdem herrscht Misstrauen: Als der Rapper Denis Solis unlängst wegen zu frecher Beiträge kurzfristig ins Gefängnis musste, protestierten einige Dutzend Künstler und Intellektuelle vor dem Kulturministerium. Sofort wurde aus Miami eine kulturelle Protestbewegung „San Isidro“ hochgeputscht, es gab Artikel und es flossen Unterstützungsgelder – und schon reagierte das offizielle Kuba empört auf diese „konterrevolutionäre Provokation“ – womit vorerst alles beim Alten blieb.

Also hat ein „kubanischer Gorbatschow“ noch immer keine Chance? Einer hätte es fast geschafft: Carlos Lage, eigentlich Kinderarzt, aber als Sekretär des Exekutivkomitees des Ministerrates ein unorthodoxer Kopf, der bereits als Nachfolger von Fidel Castro gehandelt wurde. Es kam anders: Anfang März 2009 saß Carlos Lage zusammen mit Gleichgesinnten bei einem Rum-Gelage, wo- bei Anekdoten aufblühten, auch über den „Chef“, also Fidel Castro. Dieser hatte sie, gemein, abhören lassen und war über derartige „vulgäre Witze“ (welche sich auf potentielle Castro-Nachfolger bezogen) derart erbost, dass alle Beteiligten politisch in der Wüste landeten. Seit damals hat sich unter den Apparatschiks keiner mehr getraut!

Ob Präsident Miguel Díaz-Canel uns im neuen Jahr überraschen wird? Oder muss er auf das Hinscheiden des greisen Raúl Castro warten? Immerhin, Donald Trump schreckt nicht mehr. Mit Joe Biden in der US-Präsidentschaft wehen für Kuba günstigere Passatwinde. Erste Devisentouristen sind wieder da. Klio, die aufmüpfige Muse der Geschichte, würde Kuba gern mit dem Lorbeer echter Reformen krönen – falls Díaz-Canel sich traut: Dann erst befänden wir uns wirklich im Post-Castrismus!


1 Siehe Gerhard Drekonja-Kornat, Konsum kleingeschrieben. Kuba-Heft MERIAN 9 – XXXII, p. 54-57.

2 Anthony DePalma, The Cubans. Ordinary Lives in extraordinary times. Viking-Penguin Random House 2020, p.5.

3 Dazu die herrlichen Havanna-Fotos im geradezu halluzinatorischen Fotoband Steven Creutzmann und Bert Hoffmann, Havanna im Herzen Kubas. München: Frederking-Thaler Verlag 2019.