Die nukleare Welt

Der Atomwaffensperrvertrag (NPT)

2020 jährt sich das Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrages (NPT) zum fünfzigsten Mal. Dieser Vertrag soll zum einen die Verbreitung von Nuklearwaffen über die 1967 bestehenden fünf Nuklearwaffenmächte (USA, Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien und China) hinaus verhindern, was von der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) in Wien überwacht wird. Zum anderen verlangt er in Artikel VI von den Nuklearwaffenmächten ernsthafte Verhandlungen über die vollständige Abrüstung zu führen.

Von Heinz Gärtner

Die Nicht-Nuklearwaffenstaaten (NNWS), die Parteien des NPT sind, hielten sich im Großen und Ganzen an den Vertrag. Israel, Indien und Pakistan sind ihm nicht beigetreten, Nordkorea verließ ihn 2003. Die Nuklearwaffenstaaten (NWS), von denen die US und Russland 95 Prozent der Nuklearwaffen besitzen, sind dem Ziel der vollständigen nuklearen Abrüstung nicht nähergekommen. Die Anzahl der Nuklearwaffen wurde nach Ende des Kalten Krieges zwar reduziert, gleichzeitig wurden sie aber ständig modernisiert und einsatzfähiger gemacht.

Bei der Überprüfungskonferenz des NPT 1995 wurde der Vertrag auf unbestimmte Zeit verlängert. Vor allem die NWS wollten damit verhindern, dass eine Frist für nukleare Abrüstung gesetzt würde. Es ist jedoch äußerst fraglich, ob sie eine Frist zur Abrüstung veranlasst hätte. Die NWS haben schon die Frist von 1970 bis 1995 verstreichen lassen, nachdem der Vertrag ursprünglich auf 25 Jahre abgeschlossen worden war.

Zweierlei Maß

Viele NNWS fühlten sich betrogen, weil sie sich an ihre Verpflichtungen des Vertrages gehalten und auf Nuklearwaffen verzichtet haben. Die NWS hätten ihre Seite des Vertrages nicht eingehalten. Es entstand eine polarisierte nukleare Welt mit den Nuklearwaffenbesitzern auf der einen Seite und den Habenichtsen auf der anderen. Israel, Indien und Pakistan haben aus dieser Ungleichheit die Konsequenz gezogen und selbst Nuklearwaffen entwickelt. Nordkorea hat nachgezogen. Japan entwickelte Nuklearkapazität Nuklearwaffen zu entwickeln,

die es zu einem Schwellenstaat machte. Der Iran verblieb auch im NPT, experimentierte aber wohl bis 2003 mit der Entwicklung von Nuklearwaffen als es sich noch vom Irak bedroht fühlte, das unter Saddam Hussein vortäuschte, Nuklearwaffen zu haben.

Die Nuklearwaffenstaaten, allen voran die USA, akzeptierten schnell die Nuklearwaffenbesitzer, mit denen sie befreundet waren. Das betrifft allen voran Israel, aber auch nachdem Indien und Pakistan 1998 ihre Atomwaffentests durchgeführt hatten, gab es kurzfristig Sanktionen der Vereinten Nationen. Die Sicherheitsratsresolution 1172, die die Einstellung aller nuklearwaffenbezogener Aktivitäten fordert, ist zwar immer noch in Kraft, wurde aber von Indien und Pakistan ohne Konsequenzen ignoriert. Das zweierlei Maß wird sichtbar, wenn man das Verhalten der permanenten Mitglieder des Sicherheitsrates mit dem gegenüber dem Iran vergleicht. Hier wird vom Iran verlangt, dass er alle vergangenen Sicherheitsresolutionen beachtet, auch wenn sie schon durch die Resolution 2231 (betreffend das Nuklearprogramm des Iran) überholt sind.

Der Verbotsvertrag

Die weitaus meisten NNWS, die entschieden, innerhalb des NPT zu bleiben, waren aber unzufrieden, dass es bei der nuklearen Abrüstung keine Fortschritte gab. Der Vertrag über das Verbot von Nuklearwaffen (TPNW) will die rechtliche Lücke zwischen den verbindlichen Verpflichtungen für die NNWS und den vagen Zusagen der NWS schließen. 2017 stimmten 122 Mitgliedstaaten bei einer Versammlung der Vereinten Nationen für den Vertrag. Er tritt in Kraft, wenn ihn 50 Staaten ratifiziert haben, wobei derzeit noch 10 Staaten fehlen. Der Vertrag drückt die Besorgnis über die dramatischen humanitären Konsequenzen eines Nuklearwaffeneinsatzes aus. Weil er auch die vollständige Vernichtung von Nuklearwaffen verlangt, stimmte keiner der NWS und mit ihnen Verbündete für den Vertrag. Der TPNW hat drei Kernelemente: 1. vollständige Eliminierung aller Kernwaffen, 2. die Warnung vor den humanitären Konsequenzen eines Nuklearwaffeneinsatzes und 3. völlige Umsetzung des NPT.

Der Verbotsvertrag versteht sich aber nicht als Alternative, sondern als Komplementierung des NPT. Das Argument, das von Kritikerinnen und Kritikern des NPT und des Verbotsvertrages gleichermaßen vorgebracht wird, dass der NPT die bestehenden Nuklearwaffenmächte legitimiere und daher dem Verbotsvertrag widerspreche, ist unzutreffend. Die Erwähnung der Existenz der fünf Nuklearwaffenstaaten (USA, Sowjetunion, Frankreich, Großbritannien, China) im NPT war eine Momentaufnahme von 1967; sie ist keine Bestätigung des Status quo. Vielmehr verlangt der Abrüstungsartikel VI Abrüstungen.

Kriegsführungswaffen

Wohl gab es seit Ende des Kalten Krieges eine Reduktion der Anzahl der Nuklearwaffen. Die Begründung der NNWS für die Nichteinhaltung des NPT durch die NWS liegt in der permanenten Modernisierung der Nuklearwaffen. Diese Modernisierung entspricht aber durchaus der Sicherheitslogik der Nuklearwaffen. Abschreckung ist nicht der alleinige Zweck von Nuklearwaffen. Wenn Nuklearwaffen Sinn haben sollen, müssen sie auch einsetzbar sein. Wenn sie nicht einsetzbar sind, schrecken sie auch nicht glaubwürdig ab. Glaubwürdig einsetzbar sind sie allerdings nur, wenn sie klein genug sind, dass sie lediglich „begrenzten“ Schaden anrichten können und sich der Gegner – wenn auch beschämt – zurückziehen kann. Damit würden Nuklearwaffen auch zwangsläufig zu Kriegsführungswaffen. Kleinere Nuklearwaffen machen zwar die Abschreckung glaubwürdiger, ihren Einsatz aber auch wahrscheinlicher. Zu glauben, dass eine nukleare Auseinandersetzung begrenzt werden könne, ist eine verführerische, aber unwirkliche Annahme. Dieses Prinzip galt schon bei der NATO-Strategie der „Flexible Response“ in den 1970er Jahren, als man sah, dass eine Drohung mit massiver gegenseitiger Zerstörung nicht glaubwürdig war. Der Vertrag über territorialgestützte Mittelstreckenraketen in Europa von 1987 (INF) verbot derartige kleinere Waffen. Der Rückzug der USA aus dem Vertrag 2019 macht eine Stationierung dieser Waffen in Europa und Asien wieder möglich.

Zwei Normensysteme

Die NWS werden auf absehbare Zeit nicht zur vollständigen Abrüstung schreiten. Der TPNW wird also sein Ziel der vollständigen Abrüstung nicht erreichen, wenn auch seine Unterstützer Optimismus ausstrahlen. Der Verdienst des Vertrages aber ist, dass er ein neues zum Abschreckungssystem alternatives Normensystem geschaffen hat, das auch eine rechtliche Basis hat. Es stehen sich hier zwei Normensysteme gegenüber. Diejenigen, die an die Abschreckung glauben, sich sicherer fühlen mit Nuklearwaffen, weil sie glauben, dass sie sonst angegriffen würden. Sie glauben an die Wirksamkeit der kriegsverhindernden Wirkung der Nuklearwaffen und vertrauen auf die dazugehörige Technologie.

Die Kritiker dieses Normensystems glauben, dass Nuklearwaffen die Welt unsicherer machen, weil sie zu dem Punkt drängen, wo sie auch eingesetzt werden, entweder durch Fehlkalkulation oder als Kriegswaffe. Die Konsequenzen wären katastrophal. Davon wären nicht nur die NNWS sondern vor allem auch die NWS, weil sie ja das erste Ziel eines Angriffs wären, betroffen. Kein primäres Ziel zu werden, war ja ein wesentlicher Grund, weswegen die NNWS überhaupt dem NPT beigetreten sind. Sie vertrauen weder der menschlichen Rationalität noch der Verlässlichkeit der Technologie.

Nuklearwaffenfreier Gürtel von der Mongolei bis Afrika

Konkret müssen die NWS den NNWS etwas anbieten, um weitere Polarisierung zu vermeiden. Eine Möglichkeit könnte sein, dass sie Negative Sicherheitsgarantien (NSAs), die Verpflichtung gegen NNWS keine Nuklearwaffen einzusetzen oder sie damit zu bedrohen, auf rechtliche Basis stellen. Damit sind aber Konsequenzen verbunden. Ein erster Schritt wäre, dass die Nuklearwaffenstaaten, die rechtlich verbindlichen Protokolle der nuklearwaffenfreien Zonen unterzeichnen, die NSAs enthalten. Nuklearwaffenfreie Zonen in Verbindung mit negativen Sicherheitsgarantien könnten auch zur Entspannung in der Golfregion führen. Um Befürchtungen der USA bezüglich des Nuklearprogrammes zu besänftigen, könnte der Iran anbieten, der nuklearwaffenfreien Zone in Zentralasien (Vertrag von Semipalatinsk) beizutreten. Die USA könnten ihre arabischen Verbündeten überzeugen, der nuklearwaffenfreien Zone Afrika (Vertrag von Pelindaba) beizutreten. Dieses Szenario würde Israels Sicherheit deutlich erhöhen, gleichzeitig aber auch die Begründung für seine Nuklearwaffen erheblich reduzieren. Ein Zusammenwachsen dieser nuklearwaffenfreien Zonen könnte zu einem nuklearwaffenfreien Gürtel von der Mongolei über Zentralasien und den Mittleren Osten bis Afrika führen. Der schmale chinesisch-russische Streifen zwischen der Mongolei und Kasachstan könnte leicht durch Verhandlungen mit Russland und China einbezogen werden. Eine NWFZME mit Einbeziehung Israels wäre damit nicht ausgeschlossen.

Die kontroversen Themen der Überprüfungskonferenz des NPT, die im April hätte stattfinden sollen und verschoben wurde, werden also sein: der NPT selbst, die Abrüstungsverpflichtungen der NWS, der INF-Vertrag, der TPNW, die NWFZME und auch der START-neu Vertrag über strategische Raketen (ICBMs), dessen Verlängerung 2021 äußerst fraglich ist.

Dieser Artikel ist bereits in der Ausgabe 2/2020 der Zeitschrift „betrifft frieden/Stimmen zur Zeit“ Bulletin des Österreichischen Friedensrates erschienen.

Univ. Prof. Dr. Heinz Gärtner ist Lektor an den Universitäten Wien und Krems sowie Vorsitzender des Beirates des International Institute for Peace (IIP) in Wien.Er ist auch Redaktionsmitglied von INTERNATIONAL.
E-Mail. Heinz.gaertner@univie.ac.at